‘Nachgefragt’ mit Prof. Dr. Heiner Bielefeldt zur Situation im Iran

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Prof. Dr. Heiner Bielefeldt. Foto: Harald Sippel

Menschenrechtsprofessor und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter Prof. Dr. Heiner Bielefeldt empfiehlt Kulturoffensive statt Sanktionen

Die Razzia ist meist donnerstags: Im Iran kontrolliert die Sittenpolizei streng, ob Frauen den Hijab korrekt tragen – und ahndet Verstöße in unterschiedlicher Strenge, auch mit Gewalt. Die junge Iranerin Mahsa Amini starb am 16. September im Gefängnis, nachdem die Sittenpolizei sie inhaftiert hatte. Seitdem protestieren die Menschen – vor allem auch Frauen – massiv in der Öffentlichkeit. Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), erläutert im Gespräch, was die aktuelle Situation so brisant macht und wie der Westen reagieren sollte.

Herr Prof. Bielefeldt, Sie waren nicht nur lange Zeit UN-Sonderberichterstatter für das Thema Religionsfreiheit, sondern haben sich auch mit dem Iran, seiner Geschichte und seiner politischen Entwicklung befasst. Im Moment erreichen uns von dort schreckliche Bilder. Was geschieht im Iran gerade – und wie müssen wir das hier im Westen einordnen?

Zunächst kurz zum Hintergrund: Die aktuellen Proteste haben sich bekanntlich am Tod einer jungen Frau – Mahsa Amini – entzündet, die im Iran von der Polizei verhaftet wurde, weil sie „nicht korrekt“ gekleidet war und in der Haft – vermutlich durch Misshandlung – gestorben ist. Dazu muss man wissen: Das Thema Hijab – also die Kleiderordnung für Frauen –  ist ja keineswegs neu. Die iranische Revolution 1979 wurde von den Mullahs regelrecht über das Thema Kleiderordnung inszeniert: Über Nacht sollte das Gesicht des Landes sich wandeln und erkennbar machen, dass der Iran sich radikal verändert hat – weg von „westlicher Dekadenz“ hin zu „islamischer Tugend“. Durchgesetzt wurde die Kleiderordnung von Anfang an mit massivem Zwang. Innerhalb der iranischen Gesellschaft haben viele das nie akzeptiert, ja, sie haben es in mancher Hinsicht ironisch konterkariert: Das war manchmal fast wie ein Spiel mit dem Kopftuch. Die Frauen haben es getragen, weil sie mussten –aber sie haben es so drapiert, dass es im Grunde einem Dementi gleichkam.

Und es ist nicht nur das Thema Kleider – vieles von dem, was das Regime den Menschen aufgezwungen hat, wirkt unglaublich künstlich. Ich habe es erlebt, wie die Geschlechtertrennung organisiert ist – zwei Schlangen am Eingang zum Museum, eine für die Männer, eine für die Frauen, aber hinter der Kasse geht dann alles durcheinander. Beim Einstieg ins Flugzeug: unterschiedliche Schlangen – im Flugzeug selbst alles gemischt. Diese Trennung wird sozusagen symbolisch inszeniert, aber durch die Realität immer wieder völlig ad absurdum geführt.

Ein weiteres Beispiel ist die heuchlerische Sexualmoral. Der Iran ist eines von derzeit sieben Ländern weltweit, in denen Homosexualität mit dem Tode bestraft werden kann. Gleichzeitig organisieren die Mullahs eine Art faktischer Prostitution in Form der so genannten Zeitehe: für einen Urlaub, für eine Woche, für zwei Nächte, wie auch immer. Die Zeitehe ist nichts Anderes als religionsrechtlich kaschierte Prostitution. In einem korrupten System kann man daran Geld verdienen.

Ist der aktuelle Fall Mahsi Amini besonders?

Für Frauen ist die Bevormundung besonders demütigend. Der Iran ist eines von nur fünf Ländern der Welt, die das internationale Abkommen für Frauenrechte nicht ratifiziert haben. Dabei wollte das Parlament eigentlich den Beitritt, aber der 12-köpfige Wächterrat hat diese Öffnung abgewürgt. So wie er alles abwürgen kann – schlicht mit Verweis auf „islamische Prinzipien“. Und nun hat der Tod dieser jungen Frau nach einer Razzia offenbar einen Flächenbrand ausgelöst. Es ist nicht das erste Mal. Im Iran gab es immer wieder massive Proteste. Immer wieder gab es Protestwellen, zum letzten Mal im Jahr 2019. Und immer wieder sind sie brutal niedergeknüppelt worden von den Fußtruppen des Regimes, die nach Berichten manchmal mit Eisenketten um sich schlagen. Wenn dann der Frust sich Bahn bricht, weiß man letztlich nie, ob er eine Lawine auslöst.

Ist eine Revolution denkbar?

Da wäre ich vorsichtig. Aber in einem autoritären System ist vieles denkbar, wenn die Dämme erst einmal brechen. Deswegen versuchen die Herrschenden ja so verzweifelt, Protest schon im Keim zu ersticken, via Zensur, Spitzelwesen, Indoktrination und Einschüchterung. Eine organisierte Opposition kann unter diesen Bedingungen nicht operieren. Aber genau das macht das Ganze so unberechenbar, so eruptiv. In einer Demokratie ist dies fundamental anders, da lassen sich Entwicklungen beobachten. Man sieht, wie Umfragen sich entwickeln, man sieht die Proteste auf der Straße, liest davon in den Medien. In einem autokratischen System – und wir haben im Iran eine brutale Diktatur und eine völlig korrupte Justiz – ist sowas nicht beobachtbar. Schon lange rumort es innerhalb der Gesellschaft, aber der Protest darf sich nicht organisieren. Und deswegen kann alles passieren.

Ist der Iran mit diesem Hardliner-System eher isoliert oder Teil einer Phalanx gegen den Westen?

Nun, das Regime, in dem die Hardliner den Ton angeben, würde sich gerne als Teil einer Phalanx sehen. Aber das funktioniert weder innenpolitisch noch außenpolitisch. In der Bevölkerung findet das System keineswegs allgemeine Zustimmung. Der Iran als Gesellschaft und der Iran als Regime sind zwei verschiedene Sachen. Große Teile der iranischen Gesellschaft sind geprägt durch hohe Bildung, die Analphabeten-Rate liegt fast bei null. Die Iraner verstehen sich als ein Volk der Dichter und Denker, als Teil einer zivilisierten Welt. Sie möchten nicht mit „Barbaren“ in einen Topf geworfen werden. Ich würde sagen, der Iran hat das höchste Demokratiepotenzial von allen Ländern in der Region, gerade mit Blick auf die gebildeten Schichten in den urbanen Gegenden. Es ist eine extrem aufgeschlossene und sehr interessierte Gesellschaft, von denen viele auf den Westen und Europa schauen. Umso absurder wirkt das repressive Regime.

Außenpolitisch funktioniert die Phalanx ebenso wenig: Der schiitische Gottesstaat steht im Konflikt mit vielen sunnitisch geprägten Nachbarländern, etwa mit Saudi-Arabien und den Golfstaaten, die zum Beispiel im Syrienkrieg ganz andere Strömungen unterstützt haben, während der Iran bis heute auf Seiten des Assad-Regimes steht. Angesichts eines unübersichtlichen Wirrwarrs unterschiedlicher Traditionen und machtpolitischer Ansprüche kann von einer gemeinsamen Front gegen den Westen keine Rede sein.

Hätte dann die Weltgemeinschaft nicht alle Möglichkeiten, Einfluss auszuüben – etwa durch Sanktionen? Deutschland ist einer der wichtigsten Wirtschaftspartner des Iran.

Ehrlich gesagt: Ich würde gerade beim Iran eher für das Gegenteil plädieren. Harte Sanktionen spielen vor allem den Hardlinern in die Hände. Im Kontext Iran halte ich eine kulturpolitische Offensive für erfolgversprechender: einen Dialog, der die Menschen dort, der die Gesellschaft stützt. Sanktionen wären da eher kontraproduktiv.

Aber ist denn ein Dialog auch auf Staatsebene möglich?

Vielleicht nicht direkt auf Staatsebene. Aber durchaus über offizielle Kanäle. In den 80er-Jahren etwa spielte das Goethe-Institut eine wichtige Rolle in Teheran, auch als ein Ort, an dem sich Oppositionelle treffen konnten. Freilich ist auch hier Umsicht geboten: Als Rudi Carrell 1987 in seiner „Tagesshow“ eine fiktive Szene zeigte, in der Ajatollah Khomeini mit Büstenhaltern beworfen wurde, war man so empört, dass das Goethe-Institut geschlossen wurde. Das war ein schlimmer Rückschlag.  Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin nicht gegen Boykotte generell. Aber im Falle des Iran halte ich sie eher für falsch. Wir müssen phantasievolle Wege finden, Beziehungen zu knüpfen. Die iranische Gesellschaft nutzt jede Möglichkeit zur Öffnung.

Tut der Westen genügend?

Ganz sicher nicht.

Was raten Sie?

Gerade die Universitäten müssen den Dialog stärker suchen. Wir haben im Masterstudiengang Human Rights immer wieder iranische Studierende, viele von ihnen pflegen einen engen Kontakt zu ihrer Heimat, auch wenn sie in Deutschland leben. Das sind Menschen mit Botschafterpotenzial. Da wäre vieles möglich. Es gibt übrigens eine feministische Szene im Iran. Die Tochter des ehemaligen Staatspräsidenten Rafsandschani versteht sich dezidiert als Frauenrechtlerin. Universitäten sollte Kooperationen suchen, die einhergehen sollten mit breiter Kontaktaufnahme – und das ist im Iran möglich, das Interesse ist groß.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Heiner Bielefeldt
Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik
Tel.: 09131/85-23273
heiner.bielefeldt@fau.de