Jack Halberstam zu Gast an der FAU – Vortrag über Architektur, Macht und das Anderssein

Ein Beitrag von Leon Kettler, Student der Politischen Wissenschaft
Jack Halberstam, Professor für Gender Studies und Englisch an der Columbia University in New York, war im Sommersemester als Researcher in Residence am Lehrstuhl für Anglistische Kultur- und Literaturwissenschaft zu Gast an der FAU.
Am 30. Juni hielt der mehrfach ausgezeichnete Gender- und Queer-Theoretiker im Kollegienhaus eine öffentliche Vorlesung mit dem Titel “Broken Windows: The Art of Demolition”.
Der öffentliche Vortrag von Halberstam drehte sich um Architektur, Kapitalismus und Transsexualität, wobei er ersteres nutzt, um Begriffe und Ideen zur Kritik an zweiterem und zum Denken über letzteres zu gewinnen. Die Akteure in seiner Geschichte sind dabei vor allem Künstler wie Gordon Matta-Clark und Beverly Buchanan und Architekten wie Philip Johnson und Albert Speer.
Gordon Matta-Clark war ein amerikanischer Künstler und Architekt und der Schöpfer der „Anarchitecture“. Anders als wohl die meisten Architekten interessierte ihn nicht das Bauen von Häusern, sondern der Verfall und das Zerstören. Seine Kunstwerke bestanden aus verlassenen, meistens schon zum Abriss freigegebenen Gebäuden, aus denen er Teile herausschnitt oder in die er gezielte Schnitte setzte. Wie Halberstam herausstellt, besteht der künstlerische Ausdruck dabei nicht in dem übrig gebliebenen Gebäude, sondern in dem Fehlen selbst. Dadurch weist Matta-Clark zum Beispiel auf die Familien hin, die widerrechtlich in leerstehenden Gebäuden lebten, weil sie sonst keinen (bezahlbaren) Wohnraum finden konnten, und die durch den Abriss vertrieben wurden. „Representing absence through absence“.
Von Matta-Clark gewinnt Halberstam die Begriffe für die Behandlung und Kritik des Kapitalismus. Er stellt Begriffe wie „the cut“, „splitting“, „dismantling“ und „undoing“ bzw. „unworlding“ gegen den Gentrifizierungsrhetorik des „urban improvement“. Allerdings bleibt er nicht bei der relativ engen Kritik an kapitalistischer Bauwirtschaft, sondern verallgemeinert diese Kritik und stellt somit „undoing“ dem „doing as capitalist injunction“ gegenüber. Matta-Clark gegen Nike’s „Just do it“. Mit diesen Begriffen richtet Halberstam seinen Blick außerdem auf die Transsexualität, wenn er im Kontext der geschlechterangleichenden Operation von der „possibility of the cut“ spricht.
Beverly Buchanan war eine afroamerikanische Künstlerin, die in ihren Werken unter anderem auf die schlechte Wohnsituation schwarzer Amerikaner:innen aufmerksam machte. Wie Matta-Clark interessierte auch sie sich mehr für zerfallene oder schon verschwundene Häuser, als für Gebäude in guter Verfassung
Neben Matta-Clark und Buchanan ging es aber auch um ideologisch belastete Architekten der Geschichte: Philip Johnson und Albert Speer. Im Gegensatz zu den ersten beiden ging es ihnen um das neue und dauerhafte Bauen. Speer mit seinen monumentalen Nazi-Gebäuden und Johnson beim Bau von neuen Gebäuden in ganz NYC. Johnson starb zwar 2005 als anerkannter Mann, hatte aber eine wenig bekannte Vergangenheit: Er marschierte 1939 mit der Wehrmacht in Polen ein und setze sich nach seiner Rückkehr in die Staaten für einen amerikanischen Faschismus ein.
Von diesem konkreten Unterschied in den Vorstellungen und Zielen von vier Architekten und Künstlern gelangt Halberstam zu seinem politischen Programm. Es geht um den Erhalt bzw. die Zerstörung des Status Quo, „Undoing“ gegen „Doing“, das Nicht-Mitmachen, eine anarchistische Verweigerungshaltung. Zuerst muss alles heruntergebrochen werden, genauso in sich zusammenfallen wie die Werke von Matta-Clark und Buchanan. „Withholding of utopian vision“ nennt er es. Wir können uns keine neue Welt bauen und sei es nur als Bild im Kopfe, solange nicht erst alles „undone“ ist.