Publishing 4.0: Studierende wenden Konzept der Wissensintegration auf Museum an

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Studierende der Buchwissenschaft haben das Konzept Publishing 4.0 auf ein Museum angewendet (Foto: Paul Henri /Pixabay)

Ein Museumsbesuch kann unterhaltend sein, das Interesse wecken und idealerweise zum Nachdenken oder sogar zum Mitmachen anregen. Doch nur in wenigen Fällen können Besucher kreativen Input und eigenes Wissen in eine Ausstellung einbringen. Mit der Frage, wie Museumsbesucher ihr Wissen beitragen können, haben sich Studierende der Buchwissenschaft in einem Seminar im Wintersemester 2019/2020 beschäftigt.

Das Konzept ‚Publishing 4.0‘

Jörn Fahsel ist Wissenschaftler am Institut für Buchwissenschaft und hat das Seminar „E-Publishing und E-Commerce“ angeboten, das sich mit dem von ihm mitentwickelten Publishing 4.0-Konzept befasst hat (Link: mehr zum Konzept gibt es hier). Dieses Konzept folgt dem Muster der ‚Industrie 4.0‘, das in der vierten Stufe Mechanisierung und Digitalisierung im Veröffentlichungsbereich beschreibt: Durch ‚smarte‘ Vernetzung können verschiedene Akteure nicht nur in Echtzeit miteinander publizieren, sondern Nutzer sich ebenfalls am Produktentwicklungsprozess beteiligen. Zum Beispiel auf einer Plattform können sie Inhalte konsumieren, aber auch selbst als Autoren aktiv werden. Sie werden so zu ‚Prosumenten‘ – einer Wortschöpfung aus Konsument und Produzent. (Link: mehr zur Lernplattform „Scientific Publishing“ hier)

Jörn Fahsel, Institut für Buchwissenschaft (Foto: Georg Pöhlein)

Diese Idee haben nun Studierende auf andere Bereiche übertragen, etwa auf Museen, hier am Beispiel des Germanischen Nationalmuseums (GNM*). Anhand der neun Thesen des Publishing 4.0-Konzepts haben Alexandra Wolf, Alena Lautner und Elena Reisewitz geprüft, inwiefern dessen Denkstruktur auf das Konzept eines Museums passt und inwiefern es die Wissensintegration und die daraus erfolgende neue Content-Kreation bereichern kann. Jörn Fahsel: „Das ist interessant, denn damit wird Wissen der Museen über Objekte mit dem Wissen der Kunden zur Vermittlung integriert“.

Als Ziel haben die Studierenden festgehalten, dass das Konzept der Wissensintegration die Museumsbesucher dazu anregen soll, ihr eigenes Wissen in den Museumsbetrieb einzubringen. Durch diese Beiträge können nicht nur die Inhalte der Ausstellung besser auf die Interessen des Zielpublikums angepasst, sondern der Museumsbesuch auch abwechslungsreicher gestaltet werden. Das könne auch die Motivation erhöhen, das Museums häufiger zu besuchen.

Ergebnis des Thesenabgleichs
Die Grafik zeigt den Kreislauf, wie ein Museumsbesucher durch einen Wissensbeitrag zum 'Prosument' wird. Das Museum prüft den Beitrag und nimmt ihn bei Eignung in die Ausstellung auf. So wird die Ausstellung nicht nur stets erweitert und bleibt interessant, sondern auch der Museumsbesucher hat einen Anreit, wiederzukommen.
Das Konzept Publishing 4.0 am Beispiel GNM (Grafik: Alexandra Wolf, Alena Lautner und Elena Reisewitz)

Publishing 4.0 bietet die Chance, Nutzer als Werteerzeuger in den Produktentwicklungsprozess einzubinden und vom Leser zum Autor zu werden (These 1). Für das Germanische Nationalmuseum könnte die Übertragung dieser These wie folgt aussehen: Besucher geben nach der Ausstellung ihre Impulse digital oder analog als Feedback weiter. Beschäftigte des Museums nehmen die Wissensbeiträge nach eingehender Prüfung in die Ausstellung auf und die Prosumenten werden per E-Mail darüber informiert. Als Chance ergibt sich dadurch die konsequente Kundenorientierung (These 2), denn dadurch, dass die Besucher ihr Wissen teilen, geben sie ihre Interessen preis und die Ausstellung wird nachhaltig besucherorientierter.

Durch Nutzerprofile kann das Museum die Kommunikation mit seinen Besuchern individualisieren. Jedoch ist es nicht ganz wie im Publishing 4.0 möglich, auch das Produkt für den Einzelnen zu gestalten, denn die Ausstellung ist nicht so umfassend digital wie beispielsweise Angebote und Produkte im Verlagswesen. Auch These 4, die besagt, dass aus Wettbewerb ‚coopetition‘ wird, lässt sich nur mit Abstrichen auf das GNM übertragen. ‚Coopetition‘ beschreibt die Idee, dass Konkurrenzunternehmen kooperieren, um gemeinsam Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten von Vorteil sind. Konkurrenz unter Museen betrifft allerdings weniger die Besucher als vielmehr Sponsoren, Subventionen und Ausstellungsstücke. Vor allem für Letzteres würde eine digitale Plattform eine Chance bieten, denn über ein System könnten Museen schnell und einfach den Austausch von Ausstellungsgegenständen, Materialien und User generiertem Content bewerkstelligen.

Die Thesen 4, 5 und 6 behandeln die Möglichkeiten der Standardisierung und Automatisierung sowie die Relevanz von Daten, was für ein Museum nur bedingt von Bedeutung ist, aber Standards und zuverlässige Daten auch hier von Vorteil sind. Im Publishing 4.0-Konzept wird hervorgehoben, wie wichtig es ist, sich strategisch neu zu orientieren (These 7), was auch auf den Anwendungsfall GNM zutrifft. Gerade in Museen herrscht wenig wirtschaftlicher Druck, um neue Geschäftsmodelle zu etablieren. Neue, digitale Aspekte könnten hier das Geschäftsmodell Museum ergänzen und innovativer machen. Die cloudbasierte Wertschöpfungskette und die Vernetzung aller Beteiligten, die These 8 bewirbt, ist für das Konzept Museum weniger relevant, denn um möglichst viele Besucher zum Mitmachen zu bewegen, können Wissensbeiträge auch direkt nach dem Besuch analog eingereicht werden. These 9 beschwört letztlich den Erfolg des Projekts: Eine Veränderung im Mindset ist notwendig. Gerade ein Gedankenmodell wie das, das die Studierenden für das GNM entwickelt haben, eignet sich gut, um die Denkweise von Besuchern und Beschäftigten des Museums zu bewirken.

Als Fazit halten Alexandra Wolf, Alena Lautner und Elena Reisewitz fest, dass obwohl ein Museum an vielen Stellen anders handelt als ein traditioneller Verlag, das Publishing 4.0-Konzept mit Abstrichen auf das Projekt der Wissensintegration anwendbar ist. Vor allem, da beide Institutionen den Auftrag der Wissensvermittlung als Gemeinsamkeit haben und für sie das Sortieren und Prüfen von (user generierten) Daten von großer Bedeutung ist. „Die Studierenden haben gute Arbeit geleistet, die Umsetzung des interaktiven Museumskonzepts wäre möglich.“, sagt Jörn Fahsel. So haben sich die Studierenden der Buchwissenschaft sich nicht nur mit E-Publishing und E-Commerce beschäftigt, sondern auch in einem gedanklichen Experiment ihr Wissen auf einen anderen Bereich angewendet.

*Über das Germanische Nationalmuseum

Das größte kulturhistorische Museum des deutschen Sprachraums sammelt und bewahrt Zeugnisse der Kultur, Kunst und Geschichte. Als Forschungs- und Besuchermuseum steht die wissenschaftliche Aufbereitung und Vermittlung Historischer Objekte als Bewahrer von Geschichte und Geschichten im Zentrum. Die Digitale Vermittlung und Besucheransprache spielt dabei eine wichtige Rolle wie Museumsdirektor Prof. Daniel Hess betont: „Wir möchten uns den Besuchern gegenüber konsequent weiter öffnen und künftig auch mehr Besucherforschung und Partizipation betreiben. […] Das studentische Projekt stößt auf ein höchst aktuelles und diskussionsintensives Feld vor, das uns sehr stark umtreibt.“ https://www.gnm.de/