Was Juwelen mit Lateinischer Dichtung zu tun haben – Reihe „Frauen in der Wissenschaft“

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Dr. Helen Kaufmann (Foto: privat)

Sie forscht zur spätlateinischen Dichtung und ist Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung: Im letzten Teil von ‚Frauen in der Wissenschaft‘ stellen wir Dr. Helen Kaufmann vor, die seit Januar 2020 Gastwissenschaftlerin am Lehrstuhl für Klassische Philologie (Latein) bei Prof. Dr. Christoph Schubert ist. „Latein war schon in der Schule mein Lieblingsfach, und innerhalb der lateinischen Literatur mag ich die Dichtung lieber als die Prosa“, erzählt die gebürtige Schweizerin. Und so folgte dem Studium der Klassischen Philologie und Anglistik, mit einem zusätzlichen Diplom für das Lehramt, die Promotion. „Thematisch landete ich in der Spätantike, weil mich diese Epoche sehr fasziniert – sie scheint unserer heutigen Welt viel näher als zum Beispiel das Rom von Caesar oder Cicero – und weil die spätantike Literatur vergleichsweise wenig erforscht ist“, ergänzt sie.

Wie es ist, in einem ‚Kleinen Fach‘ zu forschen

In Deutschland zählt die Klassische Philologie zu den ‚Kleinen Fächern‘, in den USA und Großbritannien, wo Helen Kaufmann schon geforscht und gelehrt hat, ist das nicht überall der Fall. Gerade an den britischen Hochschulen der ‚Russell Group’, die als besonders renommiert gelten, sind Studienplätze auch in der Klassischen Philologie heiß begehrt. In den USA an der Ohio State University war das Department 2006, als sie dort lehrte, das einzige, das Doktorand*innen aufnehmen und ausbilden durfte, und galt somit als Aushängeschild der philosophisch-historischen Fakultät.

In einem Kleinen Fach zu forschen, findet Helen Kaufmann spannend und sieht durchaus Vorteile wie die Internationalität: Zwar dauere es oft länger, bis man die Perspektiven, Fragestellungen und Resultate von Kolleg*innen aus anderen Ländern und Forschungstraditionen verstehe, dafür werde man dem Forschungsgegenstand durch die unterschiedlichen Fragestellungen und Betrachtungsweisen besser gerecht. Studierende ermutigt sie, Austauschprogramme wie Erasmus oder regionale Universitätsverbunde zu nutzen, um mehr Vielfalt in der Lehre zu erleben – denn diese könnte durch die Situation als Kleines Fach vielleicht etwas zu kurz kommen. „Für das Fach allgemein wünsche ich mir Universitätsleitungen, die in der Vielfalt der Fächer ein Wesensmerkmal von Universität überhaupt sehen, und Lehrstuhlinhaber*innen mit auf die Zukunft ausgerichtetem Gestaltungswillen. Das Fach an sich hat sehr viel zu bieten: Es wird sich durch neue Fragestellungen verändern, aber nicht zugrunde gehen“, so Dr. Kaufmann.

Ihre Forschung und die internationale Tagung zu ‚The Jeweled Style‘

Im Juni 2021 organisierte Dr. Helen Kaufmann eine Tagung zu ‚The Jeweled Style‘, einem inzwischen sehr bekannten Begriff, mit dem Michael Roberts 1989 den Stil der spätantiken lateinischen Dichtung beschrieb.

Das Konzept des ‚Jeweled Style‘ beschreibt die kunstvolle Ausgestaltung von sprachlichen und inhaltlichen Elementen, beispielweise in der Form von symmetrisch angeordneten Listen oder detaillierten Beschreibungen von Kunstwerken wie Bildern oder (fiktionalen oder realen) Bauwerken, in der spätlateinischen Dichtung und verankert diese in der zeitgenössischen Ästhetik. Neuere Forschungsansätze untersuchen, inwiefern sich das Konzept auf andere spätantike Texte, wie zum Beispiel die griechische Dichtung der (späten Kaiserzeit) oder spätlateinische Reden, anwenden lässt. Interessant ist auch die Frage, ob der ‚Jeweled Style’ spezifisch spätantik oder auch in Texten anderer Perioden zu finden ist, zum Beispiel in der Dichtung des 1. Jahrhunderts nach Christus, insbesondere Ovid und Statius, oder jenen des frühen Mittelalters.

Zu diesen und anderen Forschungsfragen rund um den ‚Jeweled Style‘ hat die Latinistin im Juni 2021 die DFG-geförderte Tagung ‚The Jeweled Style Revisited‘ veranstaltet. Die Tagung fand in englischer Sprache mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Teilen Europas und aus Nordamerika statt – typisch für ein Kleines Fach? „Ja, die Internationalität ist tatsächlich typisch“, bestätigt Helen Kaufmann. „Es gibt in meinem Fach kaum Tagungen, die nicht international sind. Nicht repräsentativ in dieser Hinsicht ist einzig, dass Referent*innen aus Frankreich gefehlt haben. Dass die Vorträge auf Englisch gehalten wurden, ergab sich dadurch, dass Michael Roberts’ Buch ‚The Jeweled Style‘ seinerzeit in den USA publiziert wurde und dass ich die Konferenz gemeinsam mit einem Wissenschaftler aus den USA geplant und durchgeführt habe. Wir hatten keine Sprachregelung getroffen, aber die meisten Teilnehmer*innen erachteten Englisch wohl als Konferenzsprache. Bei einem Vortrag haben wir vor der Tagung die Sprachwahl diskutiert, aber schließlich nicht geändert. In den USA und Großbritannien ist die Konferenzsprache auch an internationalen Tagungen gewöhnlich Englisch, in den nicht englischsprachigen Teilen von Europa sind solche Tagungen normalerweise mehrsprachig. Bei beiden Formaten gibt es Gewinne und Verluste in jeweils anderen Bereichen. Auf jeden Fall hat die Kommunikation an dieser Tagung so gut funktioniert, dass wir uns trotz Onlineformat intensiv austauschen konnten und der Austausch in einer sehr angenehmen Stimmung stattfand. Gerade in Zeiten von coronabedingt reduzierten Kontakten und Austauschmöglichkeiten waren die zwei vollen Tage in der diskussionsfreudigen Gruppe sehr inspirierend.“

Im Moment arbeitet sie gemeinsam mit Dr. Joshua Hartman (Bowdoin College), mit dem sie die Tagung organisiert hat, an der Publikation des Tagungsbandes. Die meiste Zeit widmet sie jedoch ihrer Monographie über Raum, Ort und Identität in der spätlateinischen Dichtung.

Dr. Helen Kaufmann ist Stipendiatin der Humboldt-Stiftung: Besonders gefällt ihr die Ausrichtung der Stiftung, in erster Linie Personen – und nicht Projekte – zu fördern. „Das gibt mir die Möglichkeit, an verschiedenen Projekten gleichzeitig zu arbeiten, ohne diese in Konkurrenz zueinander sehen zu müssen“, erklärt sie. Auch sonst empfiehlt sie unbedingt, sich um ein Humboldt-Stipendium zu bewerben, denn die Auseinandersetzung mit einer anderen Forschungskultur hilft den eigenen Forschungsansatz weiterzuentwickeln und führt zu neuen Ideen, so Kaufmann.

Bis Ende August 2021 ist Helen Kaufmann noch als Gastwissenschaftlerin an der FAU, bevor sie aus familiären Gründen wieder nach Großbritannien zurückkehrt.